Psychische Gewalt in Paarbeziehungen ist ein schleichender Prozess, der oft mit scheinbar liebevollen Gesten beginnt und sich im Laufe der Zeit in manipulative und kontrollierende Verhaltensweisen verwandeln kann. Um die Dynamik zu verstehen, ist es wichtig, die verschiedenen Stufen dieser Gewaltform zu beleuchten. Ich nehme euch mit auf meine eigene kleine „Reise“ durch diese verschiedenen Stufen. Beginnen wir mit dem sogenannten Love Bombing, das den Beginn vieler toxischer Beziehungen markiert.
1. Kapitel: Love Bombing: Der täuschende Anfang
Love Bombing beschreibt eine Phase zu Beginn der Beziehung, in der eine Person mit überwältigender Aufmerksamkeit, Geschenken und Komplimenten überschüttet wird. Dies schafft eine intensive emotionale Verbindung und Abhängigkeit. Obwohl es zunächst, wie echte Zuneigung erscheint, dient es häufig dazu, die Kontrolle über den Partner oder die Partnerin zu erlangen. Gleichzeitig setzt dies einen Anker „der guten alten Zeit“, der einen in späteren Krisensituationen immer wieder hoffen lässt, dass es wieder so wird wie zu Beginn der Beziehung.
Ich muss dazu sagen, dass meine Erfahrung innerhalb einer toxischen Beziehung dadurch begünstigt wurde, dass ich noch sehr jung war und an einem Punkt in meinem Leben stand, an dem ich mich orientierungslos und allein gefühlt habe (nicht, dass ich das damals zugegeben hätte). Ich war somit empfänglich für jemanden der vorgibt mich „retten“ zu wollen und mir „Halt“ geben zu wollen. Um den Text im Folgenden nachvollziehbarer zu gestalten, werde ich meinen damaligen Partner „Mister Perfect“ nennen.
Nach einiger Zeit mischt sich zur liebevollen Hingabe immer mehr Kritik und Abwertungen. Es gibt keinen klaren Zeitpunkt, an dem sich der Schalter umlegt, vielmehr beginnt es mit einem negativen Kommentar zum Kleidungsstil hier und einem kleinen Streit wegen nicht abgehangener Wäsche da und nimmt so langsam immer mehr Raum in der Beziehung ein, bis es zur Normalität wird. Durch diesen schleichenden Prozess werden die Betroffenen daran gewöhnt. So kann es auch sein, dass das Gegenüber zu konkreten Mechanismen psychischer Gewalt greift.
2. Kapitel: Manipulationen
Streits und Konfliktsituationen entstehen meist ohne, dass es einen konkreten nachvollziehbaren Grund gibt. Manchmal reicht eine Bemerkung oder ein bestimmtes Tun oder Unterlassen von Irgendwas aus. Anfangs hat man noch den Impuls zu hinterfragen, man ist verwirrt und kann nicht nachvollziehen, woher die Aggressionen beim Gegenüber kommen. Doch in der Regel ist Mister Perfect sofort zur Stelle und klärt dich darüber auf, dass Du das Problem bist. Waren wir mal wieder in einer aussichtslosen Diskussion gefangen, endete diese meist nur wenn ich verheult und zusammengekauert die vier magischen Worte sagte: “Es ist meine Schuld“. Dann präsentierte er sich als der große und gütige, nein ich möchte sagen, barmherzige Partner, der mir endlich die Zuneigung gab, die ich brauchte, mich umarmte und mir sagte, dass ER mir dabei helfe ein besserer Mensch zu werden (wie nett).
Ein weiteres gern genutztes TTT (Toxic Treatment Tool) seinerseits war Gaslighting. Der Begriff beschreibt eine Manipulationstechnik, bei der die Wahrnehmung und die Erinnerungen der betroffenen Person infrage gestellt werden. Aussagen wie „Das habe ich nie gesagt“ trug er mir in einer bühnenreifen Betroffenheit vor, wie ich doch nur sowas von ihm denken könne. Und so schuf er langsam, aber sicher immer mehr Risse in meiner Realität und Wahrnehmung. Was uns auch schon zum nächsten Kapitel führt.
3. Kapitel: Kontrolle und Isolation
Mit der Zeit intensiviert sich die Kontrolle. Der Partner oder die Partnerin versucht, über Sozialkontakte, Entscheidungen, Zeitpläne und sogar Finanzen zu bestimmen. (…Puuh wo soll ich da anfangen…) In meinem Fall äußerte sich das zunächst darin, dass die Persönlichkeit von Freundinnen oder Familienmitgliedern negativ kommentiert wurden und hinterfragt wurde, ob diese einen guten Kontakt für mich darstellen. Wenn ich dann doch einmal etwas ohne ihn unternehmen wollte, war das natürlich gar kein Problem, bis es eben doch ein Problem war. Häufig spielten dabei Eifersucht und Misstrauen eine Rolle. Gleichzeitig begann Mister Perfect aber auch damit mir zusagen, was nicht alles aus mir werden könne, wenn ich doch nur seinen Ratschlägen folgen würde. Dabei wendete er eine perfekt abgestimmte Mischung seines Gifts an, auch bekannt als „Zuckerbrot und Peitsche“. Er sagte mir was für ein besonderer Mensch ich sei, wie viel Potenzial in mir stecke und machte mich gleichzeitig dafür fertig, dass ich war, wie ich war. Das Thema Finanzen war rückblickend mein Lieblingsthema. War er anfangs noch der edle Gönner, der mir ungefragt Geschenke machte und mich zum Essen einlud. Mutierte ich später zum Hauptgrund für seine finanzielle Notlage, von der ich natürlich erst nach langer Zeit erfuhr.
4. Kapitel: Der Kreislauf psychischer Gewalt
Psychische Gewalt in Paarbeziehungen ist oft zyklisch. Auf Phasen der Kontrolle und Erniedrigung folgen Phasen der Reue und Versöhnung. Diese "Honeymoon-Phasen" geben dem Opfer Hoffnung, dass sich das Verhalten ändern könnte, und erschweren es, die Beziehung zu verlassen. Dieses kurze, aber wichtige Kapitel erklärt vermutlich die Frage, die mir damals häufig an den Kopf geworfen wurde: “Wieso?“. Tja was soll ich sagen, so einfach ist das nicht zu beantworten, ich meine allein an diesem Text, der nur einen Bruchteil dieser Beziehung einfängt, sitze ich bereits seit Stunden. Aber ich glaube die Antwort ist, dass natürlich nicht alles schlecht war. Auf die unterirdischen Downs, folgten überirdische Highs. Außerdem hatte ich das Gefühl, die eine zu sein, die es schaffte ihm eine Partnerin zu sein. Nicht zuletzt, weil er ein Champion darin war seine Ex als „Die Irre“ darzustellen. Mittlerweile verstehe ich, die „irre Ex“ mit Schlafproblemen und stationären Therapieaufenthalte, hätte ich sein können, wenn ich (aus welchen Gründen auch immer) den Absprung nicht geschafft hätte. Tatsächlich habe ich sogar noch in der Beziehung Sätze gesagt wie „Du kriegst mich nicht kaputt“. Ich meine Recht habe ich behalten, aber wieso sagt man das in einer Paarbeziehung die eigentlich für Liebe und Unterstützung stehen sollte?!
Naja ich schweife ab.
5. Kapitel: Die Fassade beginnt zu bröckeln
Irgendwann macht es jedoch Klick und man merkt, dass es so nicht weiter geht. Körper und Geist können diese Belastung nur eine gewisse Zeit aushalten und irgendwann kommt nach und nach das Bewusstsein auf, dass diese Beziehung nicht gesund ist. Diesem „Klick“ ging ein schleichender Prozess voraus. Ich begann damit seinem Umfeld Situationen zu schildern und zu hinterfragen, ob das normal ist wie er sich verhält. Ich hatte mir so sehr einen „reality check“ gewünscht, nur leider von den falschen Leuten. Mister Perfect ist ein Profi in seinem Gebiet, das muss man ihm lassen. Seine strahlende Fassade, mit der er mich einst um den Finger wickelte, konnte er bei Freunden und Familie kinderleicht aufrechterhalten und sich als den Life Coach für alle präsentieren. So bekam ich lediglich zu hören „wie großartig Mister Pefect ist und das ich für die Beziehung kämpfen solle“ usw., usw..
Irgendwann machte es dann Klick… Was genau der Grund dafür war kann ich nicht sagen, vielleicht weil ich begann, mir einen neuen Freundeskreis zu erschließen oder weil ab einem gewissen Punkt das Maß einfach voll war und ich nur noch mit Bauchschmerzen zu ihm gefahren bin. Ich merkte, wie absurd seine Versuche waren Diskussionen loszutreten und anstatt tief demütig und verletzlich zu sein begann ich zu lachen.
Ich erkannte, dass ich nicht länger sein Projekt sein wollte, welches nur dem Zweck diente, ihn empor steigen zu lassen in die Höhen seiner Selbstbeweihräucherung.
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